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Bonsai-Meditation (2/5)

Im folgenden Schritt wird jeder von ihnen eingedrahtet und ausgerichtet. Ich arbeite von unten nach oben, hier und da muss ein Ast ganz entfernt werden. Mitunter lasse ich ein Stück stehen, um später einen Jin (toten Ast) zu gestalten.
Zwischendurch mache ich mir immer wieder die Vielfalt des Gestaltungsprozesses bewusst. Je besser es mir gelingt, möglichst viele, den Wachholder betreffende Eindrücke einzubeziehen, desto eindrucksvoller wird nachher das Ergebnis sein. Schönheit, rein formell betrachtet, hat mathematische Grundlagen (wie John Naka in seinem Buch "Bonsaitechnik" wunderbar aufzeigt). Es existieren gestalterische Grundregeln die dabei helfen, dem Baum ein natürliches Aussehen zu verleihen. Trotzdem sind die Möglichkeiten oft vielfältig, weil außer dem formalen auch ein kreativer Aspekt berücksichtigt werden muss. Er verleiht dem Baum die unverwechselbare persönliche Note.
Die einen Betrachter anziehende Ausstrahlung wird hauptsächlich durch Spannungen (Disharmonien) erzeugt. Auch eine Lücke in der Baumkrone kann diesem Zweck dienen. Insgesamt besteht die Komposition aus lauter Gegensätzen, die nur in ihrer Gesamtheit ein Gleichgewicht ergeben.

Jede durchgeführte Maßnahme ist vorab als Idee präsent und zu jedem Zeitpunkt innerhalb des Gestaltungszeitraumes anwesend, vom ersten Beschneiden bis zum Eintopfen in eine passende Keramik. Mit jeder abgeschlossenen Gestaltung steigt die Sicherheit in Grundfragen und ich beziehe weitere gestalterische Aspekte mit ein. So trainiert die bewusste Tätigkeit Schritt für Schritt die Ausdehnung der Wahrnehmung und theoretisches Wissen wird zur unersetzbaren Basis für einen immer umfassenderen Gestaltungsprozess.
Diese Fähigkeit immer weiter auszubauen bedeutet, das Bewusstsein zu erweitern. Durch lesen eines Buches allein lässt sie diese Fähigkeit nicht aktivieren, wohl aber unterstützen. Ein Schüler des Weges zu sein bedeutet deshalb nicht, nur ein Künstler zu sein, sondern auch ein gewisses Maß an Neugier und Wissbegierigkeit zu verspüren. Es geht nicht nur um das WIE, sondern auch um das WARUM.

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